Der Mythos: Ritter von Gral

Teil 1

Die Historie vom Mythos - Image Prolog
eid willkommen, edler Wanderer. Ihr wirkt ermattet. Seid Ihr von weither gekommen, um mehr über das Mysterium unserer Ritterschaft zu erfahren? So setzt Euch denn an unser Lagerfeuer, labt Euch an unserem Met und lauscht unseren Geschichten.
Gewiss wollt Ihr wissen, ob jenes kostbare und magische Ding existiert, das die Menschen den „Gral“ nennen. Seid versichert: Den Gral gibt es wirklich, hier in unserer Burg – und er ist unfassbar wirkmächtig. Er beflügelt unsere Ritterschaft und schweißt uns zusammen. Er ist die Quelle unserer Inspiration, verleiht uns Kraft gegen unsere Feinde und verhilft uns zu manchem erstaunlichen Triumph.
Ihr könnt Euch vorstellen, dass das Begehrlichkeiten weckt. Legionen von Belagerern wollten den Gral bereits in ihren Besitz bringen. Doch so sehr sie unsere Burg durchsuchten, sie konnten ihn nirgends finden, denn für Unberechtigte ist der Gral nicht greifbar. Ja schlimmer noch: Man munkelt sogar, in der Folge ihres gescheiterten Raubzuges hätten diese Schurken nässende und übelriechende Beulen entwickelt, angesichts derer selbst erfahrene Heilkundige kapitulierten. Aber lasst uns nicht abschweifen.
Was also ist dieser mysteriöse „Gral“ und wie hat er seinen Weg zu uns Rittern gefunden? Warum hat er uns erwählt und schlägt uns nicht mit seinem Fluch, sondern beschenkt uns mit seiner Zauberkraft? Davon handeln die Legenden, die wir uns in den Raunächten an unserem knisternden Lagerfeuer erzählen ...
Die Historie vom Mythos - Was ist dieser mysteriöse Gral?

Wie alles begann ...

Mancher junge Schildknappe mag es nicht glauben, doch es gab sie: eine Zeit vor unserer Ritterschaft. Bedenkt jedoch: Kein Sterblicher lebt lange genug, um sich an jene graue Vorzeit zu erinnern, daher beruht unser Wissen allein auf den Geschichten, die von Ritter zu Ritter weitergegeben werden. Vernehmt also, was uns überliefert wurde:
Die Historie vom Mythos - Wie alles begann
Vor langer, langer Zeit lebte ein junger Tischler namens Mattes in einem Dorf nahe Chóśebuz. Mattes war weithin bekannt für seine treffliche Arbeit. Von früh bis spät erschuf er meisterhafte Möbel – und wenn des Abends sein Tagwerk vollbracht war, schloss er seine Werkstatt keineswegs ab. Denn wenn es dunkel wurde, war er endlich frei, seinen inneren Bildern und Visionen eine greifbare Form zu verleihen.
Und so entstanden bei Kerzenschein berückende Figurinen und scheußliche Fratzen. Eines Nachts , es war kurz vor der Sommersonnenwende, zog plötzlich ein kühler Lufthauch durch die Werkstatt. Die Dielen knarrten und wenig später meinte Mattes, das vertraute Geräusch schleppender Schritte zu vernehmen.Genau so hatten einst die Schritte seines Meisters geklungen, doch der war schon seit Jahren tot. Ein Schatten strich am Tisch vorbei – und dann geschah es: Unvermittelt erklang die Stimme des Meisters. Sie schien aus großer Ferne zu kommen und sprach:

„Mein lieber Mattes, hab keine Furcht vor mir! Ich bin es doch. Ich bin gekommen, um dich zu warnen. Denn du musst wissen: Die Pest ist nah. Sie wirft schon ihren Schatten auf unsere Heimat und wenn sie erst hier ist, gibt es keine Rettung mehr für dich, für das Dorf oder für Chóśebuz. Aber du hast die Macht, dieses finstere Schicksal abzuwenden. Darum zögere nicht! Ziehe hinaus in die Welt und versammle eine Schar von tüchtigen Recken und Maiden um dich. Halt Ausschau nach Gefährten, die die Gabe haben, die Leute zu überzeugen. Gemeinsam könnt ihr die Menschen von hier vor einem grausamen Tode bewahren.“

Die Stimme verstummte. Kurz spürte Mattes eine knöcherne Hand auf seiner Schulter. Wieder erklangen die Schritte und verloren sich langsam in der Ferne. Scheppernd schlug die Werkstatttür in die Zarge. Unser Held rieb sich ratlos den Kopf. Hatte er geträumt oder sollte er die mysteriöse Botschaft glauben ? Da erblickte er ein helmförmiges Brandzeichen in der Tischplatte, das Signum, mit dem sein Meister stets seine Werke gekennzeichnet hatte.
So war es denn real. Mattes erschauderte angesichts der immensen Aufgabe, die sich vor ihm auftürmte. Wo sollte er all diese fachkundigen Menschen finden? Wie sollte er sie für seine Mission gewinnen? Und selbst, wenn ihm all das gelänge: Würden er und seine Gefährten wirklich in der Lage sein, wie prophezeit die Bevölkerung zu retten? Voller Zweifel packte Mattes seine Siebensachen, verriegelte seine Werkstatt, sattelte sein Pferd und begann seine Reise.
Die Erfahrenen unter uns wissen bereits, dass das Schicksal seinen Erwählten so manchen Weg ebnet. So erging es auch Mattes. Schon auf seiner ersten Tagesreise begegnete er Nilrem, einem hutzeligen Mann, der zu seinem wichtigsten Helfer werden sollte. Der weise Nilrem war ein begnadeter Planer. Dereinst hatte er Schlachtpläne für Feldherren entworfen und mit klugen Strategien vielen Kaufleuten zu Erfolgen in Übersee verholfen. Jetzt beschloss er, mit seinem Scharfsinn Mattes Mission zu begleiten.
Die Historie vom Mythos - Mattes Tagesreise
Die Historie vom Mythos - Die Prophezeihung
Dabei dachte er alsbald an jenen geheimnisvollen und unermesslich wertvollen Kelch, der einmal einem befreundeten König gehört hatte. Nachdem der König ohne Erben verstorben war, hatten viele versucht, sich diesen Schatz zu sichern – doch der schien sich allen Unberechtigten zu entziehen. Kein Wunder: Einer alten Prophezeiung zufolge sollte dieser gralsähnliche Kelch einmal zum Kraftzentrum eines Ritterbundes werden. Damals war Nilrem diese Prophezeiung rätselhaft erschienen, doch plötzlich ergab sie einen Sinn.
Gemeinsam mit Mattes machte er sich auf, um die Burg des verstorbenen Königs zu finden. Es war eine lange, unwegsame Reise durch eine felsige Landschaft, doch schließlich erblickten die Männer im Schatten einer schroffen Felswand eine verfallende und vielfach geplünderte Burg. Türmchen, Zinnen und Ornamente zeugten noch von vergangener Pracht, doch die Vorburg war bereits eingestürzt und durch die löchrigen Gemäuer zog ein eiskalter Wind.
Die Historie vom Mythos - Burg des verstorbenen Königs
Kaum hatten die Männer die Ruine betreten, da ergriff eine Kraft die Kontrolle über Mattes und lenkte seine Schritte in die tiefsten und modrigsten Keller der Burg. Es war sehr finster. Mattes konnte kaum seine Hand vor Augen sehen, Modergeruch kitzelte seine Nase, und immer wieder umkreisten Fledermäuse seinen Kopf. Doch die geheimnisvolle Kraft führte ihn zielsicher zu einer morschen Holzkiste, aus deren Ritzen ein gleißendes Licht drang. Und wie von Zauberhand öffnete sich die Truhe.
Die Historie vom Mythos - Mattes und das Brandzeichen
Sogleich griff der junge Mann nach dem leuchtenden Kelch in ihrem Inneren. Da schoss das gleißende Licht in seinen linken Arm und hinterließ ein helmförmiges Brandzeichen. Mattes war verwirrt. Wieso hatte ihn dieses überirdische Licht mit dem Signum seines Meisters gezeichnet? Er fühlte sich an jene übersinnliche Begegnung in seiner Werkstatt gemahnt, mit der alles begonnen hatte. Dann merkte er, wie eine nie gekannte Kraft seinen Geist erfüllte.

Doch lasst uns einen Augenblick innehalten. Ich bin gar heiser vom vielen Erzählen … Seid Ihr so lieb und bringt mir einen Trunk, um meine Kehle zu ölen? … Habt vielen Dank.

Wohlan denn. Wo waren wir stehengeblieben? Ach ja: Mattes bemächtigte sich des geheimnisvollen Kelches. Und als er damit zu Nilrem zurückkehrte, dünkte es diesen, als strahle sein Reisegefährte von innen heraus.

Am folgenden Tag brachen die Männer früh auf, um die nächste große Universitätsstadt zu erreichen. Sie erreichten ihr Ziel erst, als eine fahle Mondsichel am Firmament erschien. Nun galt es, Bündnispartner für die bevorstehende Mission zu rekrutieren. Nilrem war sich sicher, dass es einige Überzeugungsarbeit kosten würde, Menschen zu gewinnen, die einem unansehnlichen Alten und einem schüchternen Jüngling ins Ungewisse folgen würden.
Doch weit gefehlt: Das magische Signum verlieh Mattes ein solches Charisma, dass vielerlei Menschen die Nähe des Jünglings suchten und ihm zuhörten, als er ihnen von der finsteren Prophezeiung erzählte. Bald schon fand sich eine Schar von sechzehn Kriegern und Künstlern, Marktschreiern und Anwerbern sowie Dichtern, Herolden und Gelehrten, die allesamt bereit waren, Mattes und seinem Gefährten zu folgen. Gemeinsam beriet man, wie es gelingen könne, die Stadt Chóśebuz zu retten und Nilrem entwarf einen klugen Plan.
Die Historie vom Mythos - Das magische Signum
Die Marktschreier würden durch die Lande ziehen, um die Machthaber wie auch die Bevölkerung über die drohende Gefahr aufzuklären. Dafür würden Mattes und die anderen Künstler Bildwerke vorbereiten. Die Krieger würden sich bewaffnen, um – mit der Erlaubnis der Lehnsherren - die Handelswege zu kontrollieren. Und mit der Hilfe der Gelehrten würde die Schar Spitäler errichten, um alle Kranken abzusondern.
Mit diesem Plan im Gepäck begannen unsere Helden ihre entbehrungsreiche Reise in die Lausitz. Unterwegs hatte die Pest bereits eine Spur des Verderbens hinterlassen ...

Vernehme ich da einen Zwischenruf? Weiß der erlauchte Herr es wieder einmal besser? So erzähle er denn weiter! Ich ziehe mich derweil in meine Gemächer zurück. … Doch eure langen Gesichter verraten mir, dass euch das nicht genehm ist. So will ich denn fortfahren:

Auf ihrer Reise sahen Mattes, Nilrem und ihre Schar gar viele verwaiste Höfe und Dörfer. Manche Bewohner hatten in Panik ihr Hab und Gut verlassen. In ihren Ställen schrie das dürstende, ausgemergelte Vieh, das unsere Helden sogleich befreiten und tränkten. Doch längst nicht jeder Dörfler war dem Schnitter entronnen. Über vielen Höfen lag bereits der süßliche Geruch des Todes und Mattes erblickte Dinge, die ihn noch lange verfolgen würden:
Die Historie vom Mythos - Seine unliebsamen Verfolger
Raben, die sich an geblähten Totenresten labten, den Leichnam eines Knechts auf einem Felde und die Gebeine von Menschen, die eng umschlungen auf einem Lager auf ihr Ende geharrt hatten.

Nilrem versammelte die Gefährten um sich und wies sie an, einen jeden verwaisten Pesthof niederzubrennen, ohne auch nur einen Heller von dort mitzunehmen. Er erläuterte, dass die Seuche von den bedauernswerten Opfern auf deren Besitztümer überzugehen pflege, von wo sie sich, gleich einem Fluche, auf die neuen Besitzer übertrage. Daher stellten verlassene Pesthöfe eine Gefahr dar, denn sie seien voller Güter, denen die Seuche anhaften könne – Geld und Geschmeide, Nahrungsmittel oder auch Wolle und Rauchwaren. Güter also, die Begehrlichkeiten wecken.
Die Historie vom Mythos - Die Raubritter
Daher sei es wichtig, die Pesthöfe mit allen ihren Gütern zu vernichten, und sie erst in besseren Zeiten wieder aufzubauen. Kaum hatte Nilrem gesprochen, da vernahmen die Gefährten fernes Hufgetrappel. Geschwind entzündeten sie das Strohdach des Hofes und retteten sich mit knapper Not in den Schutz einer bewaldeten Anhöhe.

Von ihrem Verstecke aus sahen die achtzehn Gefährten eine Gruppe von schwer bewaffneten Raubrittern einreiten und dann – unter Gebrüll und wüsten Flüchen – den brennenden Hof verlassen.

Da wir gerade vom Feuer sprechen: Unser stolzes Lagerfeuer ist zu einem recht kläglichen Gluthäuflein zusammengeschrumpft. Lasst uns geschwind Holz nachlegen und die Flammen anfachen, bevor wir fortfahren, denn ich spüre schon das Reißen in meinen alten Gliedern … Aaah, das ist besser.

Was wohl passiert wäre, wenn die Raubritter unsere Helden entdeckt hätten? Man mag es sich nicht ausmalen …

Nilrem und Mattes begriffen in diesem Moment, dass ihre Mission weit gefährlicher war als gedacht. Daher ließen sie alle Gefährten von den Kriegern in ihren Reihen in den Kampfkünsten schulen und rüsteten sie mit so manchem kämpferischen Gegenstand.
Dann machten sie sich daran, Nilrems Plan in die Tat umzusetzen. Mit großer Überzeugungskraft gewannen sie so manchen Lausitzer Lehnsherren für ihre Sache. Und auch das Volk ließ sich überzeugen. So schien der Plan aufzugehen und die Pestilenz schritt kaum noch voran. Doch in dem Maße, in dem die Bedrohung zurückging, wuchs der Groll sämtlicher Raubritter von Forst bis Senftenberg. Denn die Plünderung von Pesthöfen war zwar voller Gefahren.
Die Historie vom Mythos - Die Plünderung von Pesthöfen
Sie hatte den Raubrittern aber eine rechte Fettlebe beschert, die diese nicht einfach so aufgeben wollten. Auch duldeten sie es nicht, dass eine Schar von Fremdlingen die wichtigsten Handelsstraßen kontrollierte. Denn sie konnten nicht glauben, dass Mattes, Nilrem und ihre Bundesgenossen aus reiner Selbstlosigkeit kämpften, entschlossen, das Rechte zu tun. Stattdessen argwöhnten sie zu Unrecht, dass alles Handeln von Gier und Machthunger getrieben sein müsse.
Deshalb rotteten sich selbst bitter verfeindete Raubritter zusammen und bildeten ein Heer gegen unsere Helden. Und sie machten es sich zum Ziele, Chaos über das Land zu bringen, um Nilrems Pläne zu vereiteln. Zu diesem Zwecke tyrannisierten sie die Bevölkerung mit sinnloser Gewalt und ausgedehnten Raubzügen, vernichteten Bildtafeln, bedrohten die Marktschreier und säten Zweifel.
Die Historie vom Mythos - Zusätzliche Mitstreiter
Schließlich beschlossen die Machthaber, dem Raubritterunwesen ein Ende zu bereiten. Sie riefen den weisen Nilrem zur Beratung und forderten ihn auf, einen Schlachtplan zu ersinnen. Sie ließen für jeden der Kämpfer einen Harnisch und mancherlei Waffen schmieden. Und sie errichteten eine Festung für Mattes, Nilrem und die Gefährten. So kam es, dass unsere Helden an zwei Fronten zugleich kämpften – gegen die Pest und gegen die Raubritter.
Doch sie kämpften nicht lange allein: Mit ihrer großen Überzeugungskraft rekrutierten Mattes und die Marktschreier ein ganzes Heer von Mitstreitern, die mit für die gute Sache kämpfen wollten und bald wurde aus dem bunten Haufen ein straff organisiertes Heer. Es folgten ebenso heftige wie blutige Gefechte, die unseren Freunden alles abverlangten.
Doch am Ende gelang es Nilrem, Mattes und ihrem Heer, die Raubritter zu besiegen. Das öffentliche Leben fand zu seinem gewohnten Trott zurück und als nach und nach auch die Pest abebbte, da ließ der Herr von Chóśebuz Nilrem, Mattes und ihr Heer zu sich rufen. Er dankte ihnen voll Rührung für ihre Verdienste um die Stadt und sprach:
Die Historie vom Mythos - Matthes und der Orden

„Wir haben beschlossen, euch zu Ehren einen Ritterorden zu stiften. Euer Wappen soll einen stolzen Helm zeigen. Doch wir sind noch unentschlossen, welchen Namen der Orden tragen soll.“

Plötzlich fühlte Mattes ein Pulsieren an seinem linken Arm. Er sah das Signum erstrahlen und begriff, dass es an der Zeit sei, das Wort zu ergreifen. Und mit einer Inbrunst, die ihm eine große Überzeugungskraft verlieh, erzählte er dem Herren von dem geheimnisvollen gralsähnlichen Gefäße, das ihn mit einem magischen Leuchten erfüllt habe. Da verkündete der Herr:

„So ernenne ich euch hiermit zu den ehrenwerten Rittern von Gral.“

Dann schlug er einen jeden Kämpfer zum Ritter und verlieh ihm einen Wappenring von edlem Metalle. Damit war also unsere stolze Ritterschaft begründet. Mattes wurde zum ersten Anführer der Ritter von Gral, doch blieb er stets ein Künstler, und des Nachts, wenn das Tagwerk vollbracht und alle Schlachten geschlagen waren, schlich er sich heimlich in seine Werkstatt, um die Geschehnisse seiner großen Reise in große, fantastische Tafelwerke zu bannen. Und zuweilen, wenn er sich an den Tisch setzte und seine Hand auf das Brandzeichen legte, schien kurz das schemenhafte Gesicht seines Meisters aufzuleuchten.
Die Historie vom Mythos - Für das Wohl der Region
Seit jenen Ereignissen sind viele Jahrhunderte vergangen, doch der Gral verleiht unserer Tafelrunde bis heute unser einzigartiges kreatives Feuer. Und bis heute kämpft unsere Ritterschaft mit vereinten Kräften für das Wohl der Region wie auch für werte Auftraggeber in fernen Landen.

Vernehme ich da ein ritterliches Schnarchen? Recht habt Ihr, denn es ist spät geworden. So lasst uns denn einkehren auf das wir Kraft schöpfen für unseren nächsten großen Feldzug. Ich wünsche Euch allen eine erholsame Nacht.

Der Erzählung zweiter Teil

Die Historie vom Mythos Teil 2 - Image Prolog
eid willkommen, liebe Freunde. So sind wir denn alle versammelt. Ihr seht, unsere Tafel ist reich gedecket. Füllet geschwind eure Teller und versorgt euch mit unserem belebenden Rittertrunke, denn wir wollen sogleich mit der Erzählung fortfahren.
Gewiss erinnert ihr euch an Mattes, Nilrem und die Anfänge unserer Ritterschaft. Nun denn, auch in den Jahren seit der Gründung wurde das Leben der Ritter von Gral keineswegs geruhsam. Sie kämpften für viele Fürsten und andre hohe Herren, maßen ihre Kräfte in Turnieren, verteidigten unsere geliebte Stadt und errangen gar manchen stolzen Sieg. Doch wenig kommt den Geschehnissen gleich, die sich im 17. Dezennium ereigneten.
Es begann im September 1600. Die Ritter von Gral kehrten gerade von einem erfolgreichen Feldzuge zurück. Sie waren voll der Freude, heimzukommen , Freunde und Wegbegleiter wiederzusehen und richteten ihre Blicke sehnsüchtig gen Chóśebuz/Cottbus. „Seht, welch Schrecken!“ rief da der oberste Ritter Bernwart und deutete auf ein unheilvolles glutrotes Leuchten genau dort, wo die Gefährten die Umrisse der Stadt wähnten. Schwarze Wolken säumten das rote Lodern und erfüllten den helllichten Tag mit nachtgleicher Finsternis: Chóśebuz/Cottbus brannte lichterloh! Die Ritter trieben ihre Rösser an und eilten in Richtung Stadt, um so bald als möglich helfen zu können. Auf ihrem Wege begegneten sie einem Strom von Flüchtenden.
Als diese das Wappen der Ritterschaft erkannten, empfanden sie Zuversicht inmitten des Schreckens, wussten sie doch um die Heldentaten der Ritter. An den Stadttoren gab es ein wüstes Gedränge, denn das Volk wollte eilends der vernichtenden Feuersbrunst entkommen. Endlich gelang es unseren Helden, sich durch das Sandower Tor zu zwängen, wo einige unerschrockene Recken Löschwasser aus dem Flusse Spree schöpften, in dem beherzten Versuche, das Feuer einzudämmen. Heißer, beißender Rauch schlug ihnen entgegen. Er umfing Mensch und Tier vollkommen, er machte ihre Augen tränen und raubte ihnen den Atem wie auch die Sicht.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Die Feuerbrunst
Doch nach einem Moment der Blindheit erkannten die Ritter das Ausmaß der Zerstörung: Die Flammen hatten beinahe die ganze Stadt verschlungen – Hütten wie Herrenhäuser, die Stadtmühle, das Rathaus, das Hospital, ja selbst die neue Lateinschule und die Kirchtürme. Zudem hatte das Feuer bereits viele Menschen getötet oder verletzt. Es war höchste Zeit, die Überlebenden zu retten, die Verletzten zu versorgen, das Feuer zu bezähmen und alsbald ein neues Obdach für jedermann zu schaffen. Die Gildenleiter der Ritterschaft teilten die drängenden Aufgaben unter sich auf: Die erste unterstützte den Löschtrupp an der Spree, die zweite schwärmte aus auf der Suche nach Überlebenden, die zu alt, zu schwach und zu kränklich waren, um aus eigener Kraft aus der Stadt zu gelangen. Die dritte schließlich machte den Stadtvogt von Chóśebuz/Cottbus ausfindig und beredete mit ihm, was nun zu tun sei.

Wie schon so oft bewiesen die Ritter auch in dieser Lage ihr Talent, kluge Pläne zu entwerfen und in die Tat umzusetzen. Sie errichteten eine Zeltstad t unter dem Schutze des Gralswappens und der junge Ritter Eberhart Hollan hielt im Namen des Vogts eine, nun ja, flammende, Rede, von der man in Chóśebuz/Cottbus noch lange sprechen würde. Darin überzeugte er die Städter, dass sie nur bestehen könnten, wenn sie alle an einem Strange zögen. Ihr müsst wissen: Eberhart war ein direkter Nachfahr des edlen Mattes. Wie sein Vorfahr trug er an seinem linken Arme ein Mal, das an das Wappen derer von Gral gemahnte – und wie Mattes war auch er mit einer fast übernatürlichen Überzeugungsgabe gesegnet. Dieses wundersame Talent bewies er jetzt, da er die Städter auf die ritterlichen Tugenden einschwor.

Und so sprach er über die sechs edlen Tugenden aus unserem Ritterkodex – dieselben Tugenden, die hier in güldenen Lettern auf unserer Schautafel verzeichnet sind. Aber zurück zum großen Stadtbrand von Chóśebuz/Cottbus.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Die ritterlichen Tugenden
Nach Eberharts Ansprache bildete sich eine lange Schlange vor dem Zelte, in dem die Ritter einen jeden Freiwilligen registrierten und ihm diejenige Aufgabe zuwiesen, für die er die größte Neigung mitbrachte. Bald schon waren für jeden Dienst genügend Freiwillige gefunden. Gar viele kümmerten sich um den Wiederaufbau der Stadt oder schafften wichtige Baumaterialien heran. Andere beschafften Getreide, Rüben, Beeren und Fisch – denn der Stadtbrand hatte fast sämtliche Vorräte vernichtet. Und wer heilkundig war, versorgte die Verwundeten und rettete so manches Leben.
Da ein jeder das Seine zum Wohle der Stadt beitrug, schritten die Aufbauarbeiten rasch voran. Landauf, landab, sprach man von den emsigen Cottbusern und dem Ritterbunde . Das beeindruckte selbst den Kurfürsten, den hochwohlgeborenen Joachim Friedrich von Brandenburg – und es weckte sein Wohlwollen, sodass er alsbald den Wiederaufbau unterstützte. Er stelle Bauholz bereit und befreite die fleißigen Städter von Steuern. So kam es denn, dass die Stadt binnen weniger Jahre wieder in ein Ort war, in dem es sich trefflich leben lässt. Es versteht sich: Diejenigen, die in dem Brand verloren waren, brachte niemand zurück.

Auch wichtige Schriftstücke waren verbrannt. Und die Ritter verzeichneten ebenfalls einen schmerzlichen Verlust: Denn die Werkstatt des Mattes und seine Kunstwerke, die sie immer in hohen Ehren gehalten hatten, waren unwiederbringlich verloren. Das traf vor allem Eberhart, doch ihm blieb nur wenig Zeit, zu trauern, denn die Zukunft hielt große, ja epochale Prüfungen für ihn bereit. Aaach, der Husten plagt mich und meine Stimme ist gar rau! Man reiche mir einen Rittertrunk, um meine Kehle zu besänftigen. … Habt vielen Dank! Mich deucht, der Trunk wird mit jedem Tage besser. Nun denn, so will ich fortfahren.

Es drohte neues Unheil: Denn am Horizont braute sich ein Krieg zusammen, der bald schon Leid und Verderben über ganz Europa bringen würde. Später Geborene kennen ihn als „Dreißigjährigen Krieg“ – einen bitteren Konflikt, der als Religionskrieg begann und als blutige Schlacht um Territorien endete. Manches Fürstentum war gewappnet und im Stande, die Bevölkerung vor den Kriegsparteien zu schützen. Nicht so Brandenburg, denn die Mark verfügte über kein eigenes Heer.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Der Dreißigjährige Krieg
Und so kam es, dass im August 1626 der Feldherr Wallenstein mit seinen Truppen ungehindert in Cottbus einfiel. Die Ritterschaft wurde von der Belagerung überrascht, weil ihre Informanten kurz zuvor nahe Spremberg in einen Hinterhalt geraten waren. Daher konnten sie die Ritter nicht mehr rechtzeitig warnen – doch diese ersannen einen Plan, um der Stadt nach Kräften zu helfen.

Und dabei kam ihnen der Zufall zu Hilfe. Es war nämlich so: Der große Brand hatte der Stadtmauer arg zugesetzt, so sehr, dass ein großes Stück aus dem alten Gemäuer herausgebrochen war. Wie das Schicksal so spielte, befand sich das Loch auf dem Grunde, das dereinst die Herren von Cottbus den Rittern überlassen hatten und auf dem sich seither die ritterlichen Quartiere befanden. Der Vogt von Cottbus war entsetzt ob dieses Einfallstores für Schurken und feindliche Soldaten.

Doch der redegewandte Ritter Eberhart überzeugte ihn davon, dass dieses Loch nicht von Nachteil sein müsse und er rang ihm die Erlaubnis ab, an dieser Stelle ein verdecktes Tor für die Ritterschaft zu errichten – unter drei Bedingungen: Dass nämlich die Ritter für dieses Privileg einen Zins zu entrichten hätten, dass sie dieses Tor stets zu bewachen hätten und dass möglichst wenige Menschen von dem Privileg erführen . Seither verfügten die Ritter und ihre Informanten über die Möglichkeit, die Stadt jederzeit ungesehen zu verlassen.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Das Tor
Und im gegenwärtigen Belagerungszustande war das Tor erst recht von unschätzbarem Wert. Die Ritter wollten es nutzen, um Frauen und Kinder in Sicherheit zu bringen, um eigene Rösser, Waffen und Gold vor dem Zugriff von Wallensteins Truppen zu retten – und außerhalb der Stadt eine Gegenwehr gegen die Belagerer aufzubauen. Kein leichtes Unterfangen – und eines, das den Rittern alles abverlangen würde. Daher machten sie sich alsbald ans Werk. Zunächst galt es, einen Teil der Waffen und Vorräte ungesehen aus der Stadt herauszuschaffen und an einen sicheren Ort zu bringen. Eine leichte Übung, denn die Ritterschaft hatte ein Geheimversteck im Wald bei Briesen.

In diesem dichten Walde befand sich eine verlassene Bärenhöhle, die einst einem alten Kräuterweiblein gehört hatte, einer weisen Frau aus dem Orte Burg, die den Rittern gar viele Male geholfen hatte. Zu Lebzeiten hatte sich die weise Alte stets dorthin zurückgezogen, wenn die Burger sie anfeindeten und der Hexerei bezichtigten. Die Ritter hatten ihr diese Höhle mit Lehm, Holz und Tierhäuten zu einem Unterschlupf ausgebaut. Dann, vor wenigen Sommern, hatte der Schnitter das Kräuterweiblein geholt und das Versteck war in die Hände der Ritterschaft übergegangen.
Zwar roch die Höhle etwas modrig, aber sie war sicher – und geräumig genug, um drei bis vier Mann oder fünf Kinder für kurze Zeit zu beherbergen. Damit war sie in der gegenwärtigen Lage von unschätzbarem Werte, sowohl als Versteck für Flüchtige als auch als Zwischenlager für Güter. Und so machten sich die Ritter ans Werk. Sie beluden ihre Rösser schwer, um im Schutze der Dunkelheit gen Briesen zu reiten. Eberhart bildete die Vorhut. Er würde nach Gefahren Ausschau halten, und wenn er nicht warnend zurückkehrte, würden die anderen alsbald folgen. In der frühen Dämmerung brach er auf. Oft hielt er inne und lauschte auf feindliches Hufgetrappel, doch niemand begegneten ihm. So erreichte er ungesehen den Wald. Trotz der Dunkelheit fand sein Pferd mit sicherem Tritt den geheimen Weg durch das Dickicht – und kurz darauf langten er an der Höhle an.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Der Ritt nach Briesen
Mit Feuerstein und Schlageisen machte der Ritter ein kleines Feuer, entzündete ein Talglicht und betrat die Höhle. Da vernahm er ein leises, hohes Wimmern. Eberhart erschauderte: Der Überlieferung zufolge hatte sein Vorfahr Mattes die Gabe gehabt, mit Geistern zu sprechen, ein Talent, das sich nicht selten in Familien häufte – und auf das er selbst gern verzichten wollte. „He da, ist da jemand?“ fragte er ins Dunkel hinein.

Das Wimmern wurde lauter. Da erblickte Eberhart einen mageren Knaben, der sich ängstlich an die Höhlenwand drängte und seinen linken Arm an die Brust presste. Das Kind zählte etwa sieben Lenze. Es war in gutes Tuch gehüllt, doch sein Hemd war über und über mit frischem Blut getränkt. Jetzt war schnelles Handeln gefragt. „Fürchte dich nicht“, sprach er, „ich werde dir helfen. Was ist dir widerfahren?“ Der Knabe versuchte, zu antworten, doch der Schmerz schüttelte seinen Leib, sein Atem ging stoßweise und statt eines wohlgeformten Wortes entrang er sich nur ein weiteres hilfloses Wimmern. Mit letzter Kraft zog er seinen linken Ärmel hoch und enthüllte eine tiefe, sprudelnde Wunde. Eberhart riss sogleich das Hemd des Kindes in Streifen.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Der Knabe
Er schlang diese fest um den Arm des Knaben, um die Wunde abzubinden, doch erst, als er ein Stück von seinem Schwertgürtel abschnitt und mit aller Kraft auf die Wunde presste, ebbte die Blutung ab. Sodann hüllte Eberhart das Kind in eine Decke, gab ihm Wasser zu trinken und redete beruhigend auf es ein. Draußen ertönten die Stimmen der anderen Ritter und Knappen, die mittlerweile eingetroffen waren. Gemeinsam entluden sie die Beutel und Satteltaschen und verstauten alles sicher in der Höhle. Dann berieten sie darüber, was mit dem schwachen, fiebernden Kinde zu geschehen habe.

Die Ritter beschlossen, ihm den gefährlichen Ritt zu ersparen. Bis es ihm besserginge, würden sie es in der Höhle versorgen. Bald eilten die anderen zur Stadt zurück, um weitere Güter vor den Belagerern in Sicherheit zu bringen. Derweil wachte Eberhart die ganze Nacht am Lager des Knaben, und als der Morgen graute, mischte er einen stärkenden Kräutertrunk und so manche Tinktur zusammen, ganz so, wie es ihn dereinst die weise Frau gelehrt hatte.
Ich höre Zwischenrufe: Ihr fragt, was die Ritter für die Stadt zu tun gedachten. Wohlan denn, ich werde eure Geduld nicht länger strapazieren.
Erinnert ihr euch an jene ferne Burgruine, aus der Mattes vor etlichen Dezennien den Gral gerettet hatte? Nun, dieses Gemäuer war schon lange keine Ruine mehr. Denn fünfzig Jahre nach der Gründung – die Ritterschaft war inzwischen zu einigem Wohlstande gelangt – erwarben die Ritter die Felsenburg und bauten daraus eine Feste. Die war fast gänzlich den Blicken Vorbeireisender verborgen und hatte ihnen schon auf manchem Feldzuge gute Dienste geleistet. Und an diesem sicheren Orte wollten die Ritter nun eine große Zahl geretteter Frauen und Kinder unterbringen.

Der Weg war zwar weit, doch der Pfad zur Burg war nicht mehr so unwegsam wie zu Mattes‘ und Nilrems Zeiten und ein guter Teil der Reise war per Ochsenkarren zu bewerkstelligen, zumindest in den ersten Jahren des Krieges. Und nicht jeder musste so weit fliehen. Hunderten weiteren halfen die Ritter, den Gefechten zu entrinnen, bis die kriegerischen Truppen weitergezogen waren. Zudem ritten Eberhart und seine Ritterbrüder bis nach Goltzen, Dobrilug und Budissin, denn sie suchten in den Städten und Dörfern nach Mitstreiter für ein verdecktes Netz aus Bürgerwehren, die an vielen Stellen der Lausitz bereitstehen sollte, um die Bevölkerung zu schützen, wann immer die Kriegsparteien plündernd und brandschatzend durch die Dörfer zögen.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Die Felsenburg der Ritter
Wie schon Mattes hatte auch Eberhart ein großes Talent dafür, die Menschen für seine Mission zu gewinnen. Viele schlossen sich ihm an. Sie vertrauten seiner Führung und ließen sich bereitwillig in den Kampfkünsten schulen, um ihre Heimstatt und die Ihren zu verteidigen. Große Hilfe wurde den Rittern auch von ihren starken und edelmütigen Bündnisgenossen aus dem Bunde der Fünf Jäger zuteil.
Ihr wollt wissen, wie es dem verletzten Knaben erging und wie er überhaupt in seine unglückselige Lage geraten war? So lauschet mir denn – aber unterbrecht mich nicht immerzu!
Drei Tage lang stand des Kindes Leben auf Messers Schneide. Fieberträume schüttelten den Knaben und wenn man ihn ansprach, blickte er verwirrt um sich. Fast schien es, als sei sein Geist schon auf dem Weg in eine andere Welt. Doch am vierten Tage verschwand der Schweiß von seiner Stirn, sein Blick wurde klar und Eberhart stellte fest, dass er es mit einem sehr gewitzten und verständigen Kinde zu tun hatte. Sein Name war Keno und er war der Spross eines wohlhabenden Kaufmannes, der vor Jahren aus der fernen Stadt Groningen in die Lausitz gekommen war. Die Mutter des Knaben war im Kindbett gestorben, doch sein Vater liebte ihn sehr – und wann immer er zu einer Geschäftsreise aufbrach, nahm der Kaufmann seinen Sohn mit, da er dessen Gegenwart schätzte und große Freude daran hatte, mit dem klugen Kinde zu parlieren.

So war es auch vor wenigen Tagen gewesen – doch in der Nähe von Briesen endete die Reise der beiden jäh, denn die Soldaten des Wallenstein hielten die Kutsche an. In barschem Tone befahlen sie dem Groninger, auf der Stelle auszusteigen. Dann drängten sie ihn, ihnen unverzüglich seinen Goldschmuck und seinen edlen Pelzmantel auszuhändigen. Sie waren schon im Begriffe, mit der Kutsche des Mannes davonzufahren, als sie den verängstigten Knaben entdeckten. Plötzlich kam ihnen ein Einfall: Sie wollten noch mehr von den Reichtümern des Kaufmannes für sich einheimsen. Daher befahlen sie dem Kaufmann, sie sogleich zu seinem Gute zu leiten, falls ihm das Leben seines Kindes lieb sei. Als einer der Soldaten das Schwert auf die Kehle des Knaben richtete, um seine Forderung zu unterstreichen, konnte der Mann nicht mehr an sich halten: Er stürzte sich auf den Soldaten – und wurde kurz darauf von dessen Schwert durchbohrt. Der Knabe sah dies, und im Versuche, seinem Vater zu helfen , schlang er mutig seinen Arm um die Kehle des Soldaten und drückte zu.

Daraufhin ließ dieser vom Vater ab und stach auf das Kind ein. So also war Keno zu seiner schweren Wunde gekommen! Was danach geschah, wusste der Knabe nicht mehr, er erinnerte sich nur noch daran, dass er mit großen Schmerzen und zitternd vor Kälte auf dem nassen Waldboden aufgewacht war. Mit Mühe hatte er sich aufgerappelt und war durch den Wald geirrt, bis er durch einen glücklichen Zufall auf die Höhle gestoßen war. Zwar war diese mit einem schweren Gitter verriegelt, doch dem schmalen Kinde war es gelungen, sich durch die Stäbe hindurchzuzwängen.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Die Soldaten Wallensteins
Nun wisst ihr, was den Kleinen in die Bärenhöhle geführt hatte. Wie aber ging es weiter?
Der Knabe erholte sich und kam schnell wieder zu Kräften, doch er vermisste seinen Vater schmerzlich. Die Ritter versuchten zwar, herauszubekommen, was dem Manne später widerfahren war und beauftragten sogar einen Informanten , um mehr herauszufinden. Doch der bekannte und allseits geschätzte Kaufmann war spurlos verschwunden, und auch die Kutsche und die Soldaten schienen wie vom Erdboden verschluckt. Da boten die Ritter Keno an, sich als Page der Ritterschaft anzuschließen. Keno stimmte begeistert zu. Er gewöhnte sich bald ein. Jeder liebte das gelehrige, tapfere und eifrige Kind, und als Keno das vierzehnte Jahr erreichte, wollten ihn viele gerne als Schildknappen gewinnen. Er aber entschied sich für Eberhart.

Es war eine schwere Zeit, denn die verfeindeten Kriegsparteien – die Truppen der Katholischen Liga und der Protestantischen Union – zogen immer wieder durch die Lausitz, wo sie sich erbitterte Gefechte lieferten, sehr zum Leidwesen der Bevölkerung. Es versteht sich, dass die Ritter und die Bürgerwehren nicht eigenhändig das kaiserliche Heer und die schwedischen Truppen bezwingen konnten. Doch sie hielten zusammen und kämpften weiter für das Wohl der Bevölkerung. Gemeinsam verhinderten sie so manche Plünderung, sie hielten die Besatzer so gut als möglich in Schach. Darüber hinaus verhalf die Ritterschaft Hunderten von Menschen zur Flucht. Und wenn der Hunger in Chóśebuz/Cottbus groß war, schaffte sie Vorräte heran. Heute wird von diesen Heldentaten nicht mehr gesungen, aber wir Ritter halten das Erbe lebendig!

So vergingen die Jahre. Eines Tages beschloss Bernwart, der oberste Ritter von Gral, dass es an der Zeit sei, das Szepter an einen würdigen Nachfolger zu übergeben. In einem festlichen Akte kürte er Eberhart zum obersten Ritter, sehr zur Freude der Ritterschaft. Und so trat der vorausschauende, kenntnisreiche und gütige Eberhart in seinem sechzigsten Jahre in die würdigen Fußstapfen seines Vorvaters Mattes. Für gewöhnlich finden solcherlei Zeremonien im geschlossenen Kreise der Tafelrunde statt. Doch der Stadtvogt ließ es sich nicht nehmen, der Feier beizuwohnen, um einen der heimlichen Helden von Chóśebuz/Cottbus zu ehren. Nach einer ergreifenden Laudatio gab er seinen Dienern ein Zeichen. Daraufhin trugen diese ein in Tücher gewickeltes Gebilde in den Rittersaal, setzten es vor dem neuen obersten Ritter ab und enthüllten es feierlich. Staunend erblickte die Tafelrunde einen üppig verzierten Thron aus Ebenholz.
Ich sehe wohl eure fragenden Blicke. Ganz recht, es handelt sich dabei um den trefflichen schwarzen Thron, der dort drüben in unserer Empfangshalle steht, gleich neben der Rüstung des Eberhart. Doch damit kennt ihr noch nicht die ganze Geschichte.
Als Eberhart den Thron erblickte, stockte ihm der Atem. Der Vogt registrierte das erfreut und meinte wohl, der Ritter sei beeindruckt von der trefflichen Handwerkskunst und der Schönheit des Möbels. Er erzählte, er habe den Thron von einem Gefährten aus der Stadt Peitz erworben, einem hochgelehrten Greise, der stets sehr begierig gewesen sei, Neuigkeiten über Eberhart und seine Heldentaten zu erfahren. Als der Vogt dem Gefährten nun erzählt habe, dass er eine Ehrengabe für Eberhart suche, habe ihn der alte Mann nach kurzer Überlegung in eine geheime Kammer gebeten – und dort habe der Thron gestanden, verborgen unter etlichen Lagen von Stoff und Rauchwaren. Nicht einmal Geld habe der Greis für dieses sicherlich sehr wertvolle Stück haben wollen. Doch der Vogt habe ihn dennoch bezahlt und von einem Tischlermeister die Initialen des Eberhart in das Möbelstück schnitzen lassen.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Der Vogt und der Thron
Eberhart dankte dem Vogt höflich für das erlesene Geschenk. Doch erst, als die Ritter wieder unter sich waren, erzählte er, was es wirklich damit auf sich hat.
Es war nämlich so: Auch wenn Eberhart den Thron bisher nur auf einem Bildnisse gesehen hatte, so hatte er ihn doch sofort erkannt. Denn dereinst, als er ein junger Knappe war, hatte ihm das Kräuterweib eine gar wundersame Geschichte erzählt. Ihr zufolge lebte einst eine Gemeinschaft außergewöhnlicher Weiber und Männer zusammen in Byhleguhre. Niemand wusste, woher sie gekommen waren und die Nachbarn betrachteten sie mit großem Argwohn, ja, manch einer sagte ihnen sogar nach, sie stünden mit dem Teufel im Bunde. In dieser Gemeinschaft lebte ein kränklicher junger Mann, der sich auf allerlei heidnische Riten verstand. Mitunter geriet er in Zustände der Verzückung. Dann fiel er in Zuckungen zu Boden, der Schaum stand ihm vor dem Munde – und er erlebte Vorahnungen, die sich schon mehr als einmal bewahrheitet hatten.

Eines Tages, als er aus einem solchen Zustande erwacht war, erklärte er, eine Stimme habe zu ihm gesprochen und ihm einen Auftrag erteilt. Er entwarf Skizzen, versetzte seine gesamte Habe und kaufte Ebenholz. Dann begab er sich auf eine lange Reise, von der er mit einem merkwürdigen Bündel zurückkehrte. Er trug dies Bündel wie einen großen Schatz, doch als er es enthüllte, blickten seine Freunde verständnislos auf ein merkwürdiges altes Holzbrett mit runenartigen Insignien. Erst später würde einer von ihnen behaupten, es handle sich um ein Stück vom Hliðskialf, dem magischen Throne des Odin. Doch wir wissen nicht, woher das Holz stammte. Wie dem auch sei, der junge Mann begann, fieberhaft zu arbeiten. Er hämmerte und sägte, hobelte und schnitzte mit erstaunlicher Kunstfertigkeit – und gönnte sich dabei keine Pause.

Und wenngleich sein Antlitz bedenklich einfiel, wies er störrisch jede Speise zurück, die ihm seine besorgten Gefährten in die Werkstatt brachten. Nur ein Schlückchen belebenden Rebsaft nahm er gerne an. Der tat ihm wohl, genügte aber nicht, um den Verfall seines Leibes aufzuhalten. Doch in dem Maße, in dem sich der Zustand des Jünglings verschlechterte, wurde das meisterhafte Möbelstück unter seinen Händen prächtiger. Eines Morgens schließlich fanden ihn seine Freunde entkräftet auf dem staubigen Boden seiner Werkstatt vor. Er lag zu Füßen eines herrlichen Thrones von Ebenholz. Voller Sorge trugen die Freunde den jungen Mann auf sein Lager. Da blickte er ihnen in die Augen, öffnete seine verdorrten Lippen und sprach mit letzter Kraft: „Meine lieben Freunde, es ist vollbracht. Dieser Thron wird mehr als einen Herren oder eine Herrin haben.

Er wird vielen Auserkorenen dienen, Menschen, die das Schicksal für eine große, ja übermenschliche Aufgabe erwählt hat. Sie müssen den Thron nicht suchen, er wird den Weg zu ihnen finden. Jeder Auserkorene wird seine wundersame Kraft kennenlernen, wenn er sie am dringendsten braucht, denn ich habe seine Lehne aus magischem Holze gefertigt. Bald schon wird ein Reisender kommen, der in großer Sorge um seinen Fürsten ist. Gebt ihm diesen Thron. Und bis dahin gebt gut darauf acht, denn es gibt keinen zweiten Thron dieser Art. “ Kaum hatte der junge Mann zu Ende gesprochen, da ging ein Ruck durch seinen Leib. Ein letztes Mal riss er die Augen weit auf, bevor er sie für immer schloss.
Die Woche war noch nicht vorüber, da klopfte des Abends ein höfisch gekleideter Mann an die Tür. Er bat um Einlass und einen Schlafplatz für die Nacht. Er berichtete, sein Fürst sei in arger Bedrängnis ... Und so bewahrheitete sich die Prophezeiung des Sterbenden.
Nun wisst ihr also, was es mit dem Throne auf sich hat. Ich sehe die Fragen in euren Augen: Woher wusste das alte Kräuterweib von dieser Legende? Nun, in ihrem Sterbebette enthüllte sie Ritter Eberhart das Geheimnis ihrer Herkunft: Sie war nämlich das uneheliche Kind des jungen Mannes, der mit solch heiligem Eifer den Thron erbaut hatte – und als sie ein kleines Mägdelein war hatte ihre Mutter ihr die Geschichte wieder und wieder erzählet.
Aber was hat es zu bedeuten, dass der Thron seinen Weg zu Eberhart fand: War er etwa einer der Erkorenen? Und wieso ist der Thron bis heute in den Händen der Ritterschaft? Geduldet euch meine Freunde! Davon werde ich euch beim nächsten Mal berichten.

Für jetzt möchte ich wieder von dem Jahre sprechen, in dem Eberhart zum obersten Ritter gekürt wurde. Denn in jenem Jahr fand noch eine weiterer wichtiger Festakt statt: Am 21. Juli 1642 wurde der wackere Keno zum Ritter geschlagen.
Die Historie vom Mythos Teil 2 - Die Aufnahme in den Ritterstand
Vermerket dies wohl, ihr Knappen und Schildknappen! Der verdienstreiche Keno stieg nicht nach zwei oder drei Jahren in den Ritterstand auf. Schon seine Pagenzeit dauerte reichlich acht Jahre – und weitere sieben Jahre musste er dienten, eher er schließlich die ritterliche Würde erhielt. Ihr hingegen erhaltet den Status als Schildknappe, sobald ihr euch der Ritterschaft anschließet – und magere zwei Jahre später könnt ihr bereits die Aufnahme in den Ritterstand beantragen. Also seufzet und klaget nicht, dass euch die Zeit zu lange wird! Doch genug der Belehrungen …
Keno empfing sein Schwert, seinen Rittergürtel und einen prächtigen goldenen Ring mit dem Wappen der Ritterschaft aus den Händen von Eberhart.
Kaum, dass er den Ring angelegt hatte, fühlte er seinen linken Arm brennen und pulsieren. Das erstaunte ihn, denn die alte Narbe an seinem Unterarm war zwar groß und auffällig, mit einer Form, die an die Umrisse eines Ritterhelms gemahnte – aber Schmerzen hatte sie ihm schon lange nicht mehr bereitet. Schnell krempelte er den Ärmel seines Gewandes hoch. Da leuchtete das Mal in einem gleißenden Lichte auf. Als Eberhart das sah, umarmte er Keno. Dann trat er vor die Menge und rief aus: „Es lebe unser Ritter Keno! Und es lebe unsere Ritterschaft – möge sie nie vergehen !“ Und die Tafelrunde antwortete: „Möge sie nie vergehen!“
Die Historie vom Mythos - Für das Wohl der Region

Teil 3 folgt alsbald ...

Die Historie vom Mythos Teil 2 - Es lebe die Ritterschaft

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Der Mythos - Teil 1 Der Mythos - Teil 2

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Teil 1 Teil 2